barrierefrei vortragen: Wie geht das?

Bei der Wortkombination Vortrag und barrierefrei denken die meisten Menschen zuerst an Gebärdensprachdollmetscher*innen oder Induktionsschleifen. Ein Vortrag ist ja nur für gehörlose und hörbehinderte Menschen wirklich problematisch, die ihm akustisch nicht folgen können – Blinde hören einfach zu und fertig, oder?

Weit gefehlt! Natürlich ist es wichtig, dass ein Vortrag auch Menschen mit Hörbehinderungen zugänglich gemacht wird, indem jemand in Gebärdensprache dollmetscht, indem Menschen mit Hörgeräten entsprechende technische Verstärkungsmöglichkeiten vorfinden und indem die vortragende Person ihre Ausführungen gut visualisiert. Genauso wichtig ist die Verwendung einer möglichst einfachen und verständlichen Sprache, die Vermeidung von zu langen Sätzen etc., damit das Publikum leichter folgen und z.B. von den Lippen der bzw. des Vortragenden lesen kann. Es gibt aber viel subtilere Fallstricke, z.B. für sehbehinderte und blinde Menschen.

Sehr lange – eigentlich über große Teile meines Studiums hinweg – dachte ich, dass ich in Vorlesungen und Seminaren nicht benachteiligt war. Ich konnte ja hören, was die Dozentin oder der Dozent sagte, ich konnte mir dazu Notizen machen und idealerweise bekam ich im Vorfeld oder zumindest im Nachhinein ein digitales oder zumindest digitalisierbares Skript oder den Foliensatz, um die Inhalte nachlesen zu können. Wenn ich nicht mitkam oder den Faden verlor, machte ich mir Vorwürfe, dass ich mich offensichtlich nicht genug konzentriert hatte oder ich fühlte mich einfach dumm und schwer von Begriff. Erst Jahre später wurde mir klar, dass es für einen guten, barrierefrei zu verfolgenden Vortrag mehr Voraussetzungen braucht, als nur Zuhören, Mitschreiben und zeitlich abgekoppeltes Durchlesen irgendwelcher Materialsammlungen, aus denen auf wunderbare Weise alle graphischen Elemente und Tabellen verschwunden waren.

Hier möchte ich versuchen,, ein paar leicht umsetzbare Grundregeln aufzustellen. Diese helfen nicht nur blinden und sehbehinderten Menschen, einem Vortrag zu folgen, sondern erleichtern auch allen Anderen das Verständnis.

Das Wichtigste für alle Menschen ist eine möglichst lebhafte Sprache. Jede*r kennt langweilig und monoton vom Manuskript abgelesene Vorträge, bei denen das Publikum kollektiv einschläft. Viel besser ist es, frei zu sprechen oder sich zumindest nur an Notizen und Stichpunkten entlangzuhangeln, anstatt einen vollständig vorformulierten Text vorzulesen. Es gibt Menschen, die mitreißend vorlesen können, aber das sind die wenigsten. Wenn ein Vortrag wie eine lockere Erzählung wirkt, bei der die erzählende Person sich auch mal verhaspelt, bei der ihr eine gewisse emotionale Involviertheit anzumerken ist und bei der es vor allem eine Interaktion zwischen ihr und dem Publikum gibt, ist das Publikum gleich viel mehr bei der Sache. Wer die ganze Zeit auf ein Blatt Papier starrt, ist nicht im Dialog mit ihren oder seinen Zuhörer*innen. Das merkt mensch auch, ohne zu sehen, ob die oder der Vortragende Blickkontakt zum Publikum hält, denn neben der Körpersprache verändern sich auch Tonfall und Ausdrucksweise. Je lebendiger und interaktiver jemand spricht,, desto aufmerksamer hören die Anderen zu und desto leichter fällt es ihnen, nicht den Faden zu verlieren. Es ist viel spannender, einem angeregt plaudernden Menschen zu folgen, als einer emotionslos vorlesenden Schlaftablette. Das gilt verstärkt, wenn unterstützende Elemente wie Folien oder Tafelanschriebe mangels visueller Wahrnehmung nicht helfen. Diese können gelangweilte oder abgelenkte Zuhörer*innen bei der Stange halten oder ins Thema zurückholen. Wenn ein blinder Mensch während eines Vortrags den Anschluss verliert, stehen ihm diese Anker aber nicht zur Verfügung. Ein einmal verlorener Faden ist dann kaum wiederzufinden.

Der zweite Punkt sind die gerade schon erwähnten visuellen Elemente. Das sind Fotos, Graphiken und Schemata, aber auch Tabellen und Text, egal ob an der Tafel, auf Folien oder einem Bildschirm. So hilfreich Visualisierung für sehende Menschen ist, so unpraktisch ist sie für blinde und sehbehinderte. Die Regeln hierzu sind recht einfach. Alles, was visuell dargestellt wird, muss sich im gesprochenen Vortrag wiederfinden. Bilder und Schemata, auf die sich der Vortrag bezieht, müssen genannt und beschrieben werden. Text in Präsentationen oder an der Tafel muss vorgelesen werden. Der inhalt einer Tabelle muss zumindest grob umrissen werden – auch sehende Menschen erfassen eine Tabelle nicht in ihrer Gesamtheit, wenn sie nur kurz in einer Präsentation vorbeischwirrt, aber die gleiche grobe Idee, die ihnen die Tabelle oder ein Diagramm vermitteln soll, muss auch den blinden und sehbehinderten Zuhörer*innen vermittelt werden.

Am Schlimmsten sind Vorträge, in denen die oder der Vortragende etwas sagt und dann mit bedeutungsvoller Geste auf eine Folie oder ein Flipchart deutet, ohne zu sagen, was sie oder er meint. Die Verbindung zwischen dem Gesagten und dem Anschauungsmaterial herzustellen, mag eine nette Denksportaufgabe für Sehende sein und es ist durchaus gut, das Publikum selber Schlüsse ziehen und Ideen entwickeln zu lassen. Auf diese Weise ist das für blinde und sehbehinderte Menschen aber schlicht nicht möglich, da sie das Anschauungsmaterial nicht anschauen können und ihnen somit mindestens die Hälfte der zusammenzuführenden Information fehlt. Im Gegensatz zu den sehenden Personen können sehbehinderte und blinde Personen nur einen einzigen Schluss ziehen, und zwar, dass es irgendetwas Interessantes herauszufinden gibt, wozu sie aber keinen Zugang haben. Die eigene Unzulänglichkeit dermaßen explizit aufs Brot geschmiert zu bekommen, ist sehr frustrierend, abgesehen davon, dass ihnen so sehr oft die Quintessenz oder Pointe eines Vortrags komplett entgeht.

Nur mit Verbalisierung und Erklärung graphischer Materialien können blinde Menschen verstehen, worauf sich eine vortragende Person bezieht und in welcher Weise ein Foto, eine Graphik, der Inhalt einer Tabelle oder eine kurze Liste von Stichworten den Vortrag untermauert. Es hilft sehr, im Hinterkopf zu behalten, dass alle Informationen auf allen Ebenen vermittelt werden müssen, damit alle Menschen dazu Zugang haben. Visualisierung hilft gehörlosen Menschen und hörende haben einen zusätzlichen Anker für ihre Aufmerksamkeit. Genauso hilft Verbalisierung und Beschreibung sehbehinderten und blinden Menschen, während sehende sie als Zusatzinformation und Verständnishilfe bestimmt nicht überflüssig finden.

Wenn Präsentationen oder Manuskripte nur aus Text bestehen, kann es für blinde und sehbehinderte Menschen durchaus hilfreich sein, diesen Text vor dem Vortrag als Datei zu beschaffen und auf dem eigenen Rechner mitzubringen. Während mensch dem Vortrag zuhört, kann mensch dann den Text lesen. Das funktioniert allerdings nur dann, wenn mensch weiß, welche Folie zu welchem Teil des Vortrags gehört. Weiß mensch das nicht, kann die Sucherei im Text sogar mehr vom Vortrag ablenken als bei dessen Verständnis zu unterstützen. Gleiches gilt, wenn mensch den Text nur via Sprachausgabe verfolgen kann, weil mensch keine Braillezeile hat oder die Brailleschrift nicht beherrscht. Das bedeutet dann, mensch muss mit einem Ohr dem Vortrag und mit dem anderen Ohr der Sprachausgabe folgen, die Folien vorliest, die an irgendeinem Punkt zum Vortrag passen sollen. Wer das hinbekommt, ohne über kurz oder lang im blabla-Chaos zu versinken, hat meine vollste Hochachtung. Ich kann es nicht. Das zur Verfügung stellen von Folien kann für mein Empfinden daher nur eine Notlösung sein. Viel hilfreicher und weniger chaosanfällig ist die oben beschriebene Verbalisierung visueller Elemente, das Kurzhalten von Text auf Folien und vor allem die Vermeidung von Zusatzinformationen im Folientext, die verbal nicht auftauchen. Mensch stelle sich einfach vor, dass der Vortrag auch ohne die Folien verständlich und nachvollziehbar sein muss – Visualisierung ist nur eine unterstützende Maßnahme, der eigentliche Inhalt passiert in der gesprochenen Sprache. Selbst menschen mit Hörbehinderungen bleiben nicht auf der Strecke, solange konsequent für Gebärdensprachübersetzung gesorgt ist. Für sie sind Visualisierungen vermutlich noch ein ganzes Stück weit hilfreicher als für sehende Menschen, aber solange der gesprochene Vortrag gedollmetscht wird, sind visuelle Elemente auch hier nur Beiwerk.

Mit Sicherheit gibt es noch mehr Dinge, auf die geachtet werden sollte. Ich freue mich, wenn Ihr mir schreibt, was Euch aus der Perspektive verschiedener Behinderungen bei Vorträgen nervt oder wo Ihr an Eure Grenzen stoßt. Die Kommentarfunktion steht Euch wie immer offen!

(geschrieben von Lea)

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