Sprich mit mir!

Heute möchte ich euch von einer Situation erzählen, die für viele Menschen mit Behinderung fast alltäglich ist. Mir ist das gestern seit langem mal wieder passiert und es hat mich noch lange beschäftigt. Deshalb möchte ich darüber schreiben, wie es sich anfühlt, nicht persönlich angesprochen zu werden.

Gestern war ich im Nagelstudio. Ich hatte eine fünfstündige Klausur hinter mir und war müde, aber draußen schien die Sonne, ich hatte die Abiklausur erfolgreich hinter mich gebracht und so beschlossen meine beste Freundin und ich, uns mit neuen Nägeln zu belohnen. Lila sollten sie sein, und lang. Das hatte ich schon einmal gemacht und fühlte mich super damit.

In der Stadt war es relativ voll, also führte mich meine Freundin, die noch etwas sehen kann. Meinen Blindenstock hatte ich trotzdem ausgeklappt.

Wir gingen also ins Nagelstudio, es waren gerade keine Kunden da, also durften wir uns direkt hinsetzen. Meine Freundin zeigte mir, wo ich sitzen konnte, ich faltete meinen Stock zusammen und verstaute ihn in meiner Handtasche. Echt praktisch, diese Faltstöcke.

Es dauerte nicht lange, bis eine der beiden Frauen zu mir kam. “Welche Farbe?”, fragte sie. “Ich hätte gern so ein helles Lila.”, antwortete ich. Doch dann realisierte ich, dass sie gar nicht mehr in meine Richtung schaute, sondern zu meiner Freundin, die sich bereits eine Farbe ausgesucht hatte. “Sie kann das auch selbst entscheiden.”, sagte sie. Ich lächelte der Frau ermutigend zu. “Sie können mich ruhig selbst fragen. Alles gut. Wie gesagt, ich hätte gern ein helles Lila.” Aber die Frau reagierte nicht. Stattdessen ging sie zu meiner Freundin und zeigte ihr scheinbar die verschiedenen Lilatöne, die sie auf Lager hatte. Okay, dachte ich, vielleicht will sie sich nur absichern, sie wird schon das richtige für mich aussuchen. Meine Freundin zeigte ihr die Farbe, für die ich mich schon beim letzten Mal entschieden hatte. Ich nickte zustimmend und dachte, dann sei die Sache ja geklärt.

Die Frau begann mit ihrer Arbeit, brachte meine Hände in die richtige Position und schnitt meine Nägel, weiter, ohne mit mir zu sprechen. Das störte mich nicht wirklich, ich bin sowieso nicht der gesprächige Typ. Doch dann ging es um die Länge der künstlichen Nägel. “Wie lang sollen sie denn sein?”, fragte die Frau und diesmal nahm ich bereits wahr, dass sie wieder nicht in meine Richtung sprach. “Ungefähr so.”, erwiderte ich trotzdem sehr deutlich, aber weiterhin freundlich, und zeigte ihr mit den Fingern, welche Länge ich mir wünschte. Aber sie ignorierte mich und schaute weiter meine Freundin an. “Wie gesagt, sie kann das selbst am besten entscheiden.”, sagte sie erneut. Die Frau drehte sich wieder zu mir und fuhr mit ihrer Arbeit fort. Ich lächelte noch immer, aber es fiel mir schon etwas schwerer.

Ich kenne solche Situationen bereits, besonders von Ärzten (“Was fehlt ihr denn?” oder in Restaurants (“Was möchte sie?”. Zuletzt passierte das vor einem Jahr, als die Kieferchirurgin meinen Vater fragte, wie alt denn “die Maus” sei. Ich sagte dann aber schnell, dass ich 17 bin, und die Sache hatte sich. Nun aber schien es nicht zu helfen, dass ich einfach selbst sprach. Ich wurde trotzdem übergangen.

Ich weiß ehrlich gesagt nicht, woran es liegt, dass man als blinder Mensch von vielen Personen scheinbar als unmündig wahrgenommen wird. Bei einigen fehlt vielleicht die Mimik, auch ich kann keinen Blickkontakt halten, versuche aber immer, die Person beim sprechen anzuschauen. Ist es vielleicht die naive Annahme, ich könnte als Mensch mit fehlendem Sehsinn nicht selbst über mein Aussehen entscheiden? Aber warum passiert das auch Rollstuhlfahrer_innen? Ist es die Unsicherheit? Oder tatsächlich einfach Ignoranz?

Wenn ich allein unterwegs bin, passiert es mir kaum bis gar nicht, dass ich übergangen werde. Vielleicht wirkt man dadurch sicherer, oder die Personen sehen einfach keine andere Alternative. Deshalb nehme ich Termine mittlerweile lieber alleine wahr, wenn es möglich ist. Aber manchmal möchte man einfach etwas schönes mit Freunden oder der Familie unternehmen – und trotzdem als vollwertige, für sich selbst einstehende Person wahrgenommen und dementsprechend behandelt werden.

Und deshalb: Sprecht mit uns. Ja, ihr dürft unsicher sein, ihr dürft Fragen stellen, ihr dürft auch Fehler machen. Alles cool. Aber ignoriert und wie jemand behandelt zu werden, der/die keine eigenen Entscheidungen treffen und nicht für sich selbst sprechen kann, tut weh und macht wütend. Ich bin in solchen Situationen immer freundlich und geduldig, aber auch ich habe mal einen schlechten Tag, Und an solchen Tagen beschäftigt mich so etwas besonders.

Anmerkung der Redaktion:

Dieser Text erschien zuvor auf dem eigenen Blog von Marie
(geschrieben von Marie L.)

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