Sebastian, der blinde Volkswirt

Hallo,

Ich bin der Sebastian, Jahrgang 1984 und seit dem Kleinkindalter blind. Habe mein Abitur 2003 an einer Blindenschule gemacht und möchte nun mal von meinem beruflichen Werdegang berichten.

An erster Stelle steht da die Berufswahl. Zu diesem Zweck gibt es ja in der 9. und 10. Klasse ein Praktikum, bei mir von je zwei Wochen. Aus meiner Sicht hat das der Findung eines möglichen Berufes nicht so wirklich viel beigesteuert. Vielleicht auch, weil für mich ein Studium angedacht war und das ja dann noch einige Jahre hin waren. Als Junge möchte man natürlich gern in den technisch- naturwissenschaftlichen Bereich, also Physik, Chemie, Elektrotechnik, Ingenieur, vielleicht sogar Medizin… Aber aus Behinderungsgründen wurde mir davon abgeraten. Gut, Arzt ist tatsächlich schwierig, obgleich es auch Mediziner im Büro gibt, was nicht so spannend für mich währe. Erst später habe ich mal von einem blinden Physikstudenten gelesen. Also gut, da wurde mir abgeraten. Mit dem Computer habe ich den Einstieg erst später gefunden, also habe ich Informatik von mir aus ausgeschlossen.

Meine nächste Idee war dann Wirtschaft. Das hilft, die Politik und das Handeln der Menschen und Unternehmen besser zu verstehen. Da hat mir keiner abgeraten. Ich habe mich für die Volkswirtschaftslehre entschieden, weil diese vielseitiger sein sollte. Meine Fächerkombinationen habe ich dann auch schön offen gewählt, dass man in vielen Bereichen Arbeit finden kann.

Im Studium habe ich dann gemerkt, dass es doch sehr visuell ist. Es wurden gerade in den Wirtschaftsfächern die wichtigen Zusammenhänge über Diagramme erklärt. Ist ja für den der es sieht sehr eingängig. Erklärt wurde es von den Tutoren mehr oder weniger gut, oft kam ich in der Vorlesung nicht mit. Noch schwieriger war es, wenn an der Tafel etwas vorgerechnet wurde und das wurde viel gemacht. Selbst wenn es angesagt wird, mitschreiben habe ich so schnell nicht geschafft, also Stichpunkte bei inhaltlichen Vorlesungen machen ist kein Problem, aber komplette seitenlange Rechnungen mitschreiben, dass ist mir nicht geglückt. Auch mitdenken war so schnell nicht möglich. Oft bin ich dann bei solchen Vorlesungen gar nicht mehr hin gegangen und habe es nachgearbeitet.

Für das Studium habe ich kaum mehr als die Regelstudienzeit gebraucht. Habe mir jedoch auch keinen wirklichen Urlaub gegönnt. Obgleich mir die Motivation oft schwer gefallen ist. Dann sitzt man den ganzen Tag lustlos vor seinen Materialien am Computer und stellt am Abend fest, dass man fast nichts gemacht hat, will dass dann in zwei Stunden nachholen, es wird spät und man wird morgens nicht wach. Wenn man das Studentenleben genießen möchte, braucht man sicher länger. Das zweite Problem bei so schnellem Studium ist, dass man es nur für die Prüfung lernt und dann wieder vergisst, es kommt nicht ins Langzeitgedächtnis.

Die breite Ausrichtung des Studiums war auch nicht unbedingt gut. Man kann in vielen Bereichen arbeiten, es wird aber auch immer einen geben, der für eine bestimmte Stelle besser passt. So habe ich nach dem Studium zwei Jahre nur Bewerbungen geschickt und Einstellungsgespräche besucht. Dann habe ich zwei Jahre gearbeitet, vor Ablauf der Frist schon wieder gesucht, hatte nach kurzer Unterbrechung was für drei Jahre. Da sich das als nicht so optimal herausstellte, habe ich praktisch gleich weitergesucht. Dennoch war ich schon gut ein Jahr arbeitslos, bis ich nun meine dritte Stelle fand. Wenn man mal von einer kurzen Unterbrechung absieht, war ich von Anfang 2008 bis Herbst 2016 nur im Bewerbungsprozess. Da hab ich die meisten Erfahrungen, das Arbeitsamt müsste mich eigentlich liebend gern als Mitarbeiter gewinnen wollen… Ein Vermittler dort meinte mal zu mir “einmal Arbeitsagentur, immer Arbeitsagentur” und das scheint leider viel zu oft zu stimmen. Nicht nur bei Blinden, auch in meinem Umfeld von Nicht-Behinderten beobachte ich deutliche Schwierigkeiten mit der Arbeitssuche.

Also vielleicht wäre es besser, sich zu spezialisieren. Dann muss man allerdings wissen, was man will und das war nie meine Stärke. Auch die Studienberatung war nicht besonders hilfreich. Ich denke, es müsste einen auf psychologischen Tests basierendes Findungsverfahren geben. Das man praktisch anhand seiner persönlichen Neigungen, ggf. der Einschränkungen durch die Behinderung und natürlich in Anbetracht des Arbeitsmarktes beraten wird, welche Fächer für einen in Frage kommen. Jetzt hätte ich andere Ideen, was ich studieren würde. War mir nur nie sicher genug, um noch ein zweites Mal zu studieren. Also die Studienwahl ist ein schwieriges Thema und man sollte sie sorgfältig durchführen.

Für Prüfungen habe ich Sonderregeln verhandelt. Entweder eine Zeitverlängerung und schreiben an meinem Computer, oder auch mündlich. Vom Zeichnen hat man mich dann zumindest in der Prüfung verschont. Obgleich ich in der Schule gezeichnet habe. Gehen tut das schon irgendwie. Viele Professoren haben mir die Materialien noch in einer besser zugänglichen Form gegeben, gerade bei der Ökonometrie/Statistik gab es vieles in LaTeX. Das ist ein textbasiertes Schriftsatzsystem. Wenn man die Befehle kennt, ist es auf der Braillezeile gut zu lesen. Man muss immer Fragen, was sie einem geben können. Bücher hatte ich kaum. Habe viel mit meinen Mitschriften, den Unterlagen und meiner Studienassistenz gelernt.

Die Integrationshilfe in Form von Studienassistenz war für mich sehr hilfreich. Da bekam ich finanzielle Unterstützung für 15 oder 20 Stunden in der Woche, um mir jemanden zu nehmen, der mir beim Studium hilft, Abbildungen, Vorlesungsmaterial etc. beschreibt bzw. diktiert, oder einfach Nachhilfe gibt. Wie das genau aussieht, das hängt vom Studienfach ab. Für textbasierte Fächer habe ich keine Hilfe gebraucht. Für die Ökonometrie dafür umso mehr. Das waren alles Mitstudenten, die entweder gleichzeitig oder schon vorher das Fach besuchen/besucht haben.

Zudem hatte ich einen Laptop mit Braillezeile, 40 Zeichen.

Es ist zu überlegen, ob man nicht ein Notizgerät nimmt. Das ist leichter, kleiner, schneller draußen und geht nicht so schnell leer. Habe jetzt privat die Eurobraille Esys 40. Nur ich finde die Tasten zum schreiben nicht so gut Auf einer normalen Tastatur kann ich viel besser tippen. Bei dem Papenmeier-Notizgerät sind die Tasten besser, habe es mir Ende 2012 mal angeschaut, es ist allerdings doppelt so schwer wie die Esys und hat eine konkave Zeile, was ich nicht so mag. Wenn man Excel und Internet in der Uni braucht ist der Laptop besser. Damals war das mit den Notizgeräten noch nicht ganz so verbreitet. Jetzt gibt es noch mehr Braillezeilen mit Notizfunktion. Auch die kleinen Netbooks kamen später auf. Ich finde 11 Zoll sollten es schon sein, hängt aber von der Handgröße usw. ab. Muss jeder probieren, welche Größe ihm liegt. Damals hatte ich einen mit 14 Zoll, jetzt auch einen mit 11,8.

Scanner und Schwarzschriftdrucker hatte ich auch. Scanner braucht man aber nicht so oft, wie man denken könnte. Die Texterkennungssoftware ist da schon wichtiger, für PDF aus dem Internet. Und Drucker halt für Briefe und Arbeiten zum einreichen, obwohl man das auch oft per Mail kann. Also beides nicht unverzichtbar.

Hab ich das Studium also abgehandelt, und wende mich dem Beruf zu.

Hatte 2007 im Studium ein sechswöchiges Praktikum auf freiwilliger Basis.

Nach zweijähriger Arbeitslosigkeit fand ich 2010 meine erste Arbeitsstelle. Habe dort Statistik und Prognose in der Statistik der gesetzlichen Krankenversicherung gemacht. In erster Linie Finanzstatistik, aber auch Mitgliederstatistik. Zudem einige Recherchen. D. h. viel mit Excel, aber auch etwas Internetrecherche und Sachen zusammenschreiben. Hab mich dort sehr wohl gefühlt und auch die Arbeit ist mir ganz gut geglückt.

Meine zweite Arbeit von 2012 bis 2015 war von der Sache her ähnlich, jetzt Statistik und Prognose der Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit. Nur der Teufel liegt im Detail, so kam ich mit dieser Arbeit deutlich schwerer zurecht. Auch habe ich mich vom Umfeld her nicht so wohl gefühlt. Das wurde besser, nachdem fast alle vom Referat gewechselt haben, nur die Schwierigkeiten mit der Arbeit blieben. Na, war eh nur befristet.

War dann wieder ein Jahr arbeitslos und habe Ende 2016 meine dritte und bis zum Tag des Schreibens aktuelle Arbeit gefunden. Hier läuft es bis jetzt wieder gut, persönlich und von der Arbeit her. Es ist wieder viel mit Excel-Tabellen und so Datenrecherche und Auswertung, auch Presseauswertung. Alles drei Büroarbeiten, also schon irgendwie ähnlich.

Habe bis jetzt immer Vollzeit gearbeitet. Da noch etwa 10 Stunden Wegezeit pro Woche hinzukommen, ist das allerdings recht viel. Könnte mir gut vorstellen, später auch mal weniger zu arbeiten, oder aufzuhören, wenn es die Finanzen erlauben.

Für die Arbeit habe ich ebenfalls einen PC mit Braillezeile, stationär mit 80 Zeichen, zum Mitnehmen auch 40. Bei meiner jetzigen Arbeit bekam ich einen dienstlichen Laptop.

Den Arbeitsweg erledige ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Wenn es keine Einschränkungen bei der Bahn gibt, funktioniert das auch sehr gut. Kann aktuell sogar durchfahren. Habe mir auch einige Ausweichrouten zeigen lassen. Alles kann man jedoch nicht abdecken.

Wenn man eine Arbeit anfängt kann man nicht nur die nötige technische Arbeitsplatzausstattung, sondern auch blindheitsbedingte Qualifikationen wie Umgang mit den PC-Hilfsmitteln und natürlich einem Mobilitätstraining beantragen. Das wird bei der Arbeitsagentur beantragt. Wer schon 15 Jahre im Berufsleben steht, der beantragt bei der Rentenversicherung, welche sich mit der Genehmigung jedoch deutlich schwerer tut.

Was sicher für den Arbeitsweg, aber auch für alle anderen Wege wichtig ist, sind meine Bahnhofsbeschreibungen unter:

http://mobil.kuubus.de

Die Seite freut sich immer über neue Einsendungen.

Meine private Seite findet ihr unter:

www.sebastianfietz.de

(geschrieben von Sebastian Fietz)

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