Im Rollstuhl auf Festival, geht das?

Stell dich mal vor?

Ich heiße Marion, bin 49 und Goth. Das bedeutet, dass mich eine bestimmte Musikrichtung interessiert und ich außerdem nur schwarz trage. Das alleine ist schon recht auffällig und manche Menschen sind der Ansicht, wenn man durch eine Behinderung schon auffällt, sollte man sich ansonsten doch bitte recht unauffällig anziehen. Ich denke, jetzt erstrecht nicht! Meine Identität besteht nicht nur aus meiner Behinderung, ich lasse mich weder darauf reduzieren noch davon einschränken, was mein Leben betrifft.

Warum sitzt du im Rollstuhl?

Ich habe eine angeborene Querschnittlähmung, die sich jedoch nur auf mein linkes Bein auswirkt. Das bedeutet, dass ich im Alltag mit Krücken laufen kann, leider allerdings nicht besonders weit. Daher benutze ich den Rollstuhl als angenehmes Fortbewegungsmittel, dass es mir ermöglicht, größere Strecken zurückzulegen.

Wie schränkt dich deine Behinderung im Alltag ein? Was kannst du nicht, was fällt dir schwer?

Dadurch dass ich im Alltag zwei Krücken in der Hand habe, kann ich nichts tragen. Das fällt bei alltäglichen Hausarbeiten wie Wäsche waschen und Putzen schon sehr ins Gewicht. Ich habe für mich Wege gefunden, wie ich das meiste trotzdem erledigen kann. Ansonsten habe ich eine Haushaltshilfe, die mir 2x die Woche die groben Putzarbeiten erledigt.

Du gehst gerne auf Festivals. Auf welchen Festivals warst du schon?

Ich gehe regelmäßig aufs Mera Luna, Wave Gotik Treffen, Rockharz und Amphifestival. Ansonsten war ich bereits auf dem Festival Mediaval, MPS und Out & Loud. Das sind alles szenemäßig bekannte Festivals und reichen von Metal bis Gothik und Mittelalter.

Musst du bei der Organisation deiner Festivalbesuche bestimmte Dinge beachten, die für Besucher ohne Handicap nicht wichtig sind?

Ich muß zunächst mal meine Reise dorthin planen. Ich fahre stets mit der Bahn, da der kostenlose Mobilitätsservice der Bahn sehr praktisch ist: man wird von Servicemitarbeitern zum Zug begleitet und, wenn nötig, zum nächsten Zug gebracht. Das bedeutet, dass man bei der Planung darauf achten muss, dass die Bahnhöfe, an denen man umsteigt oder ankommt, auch einen solchen Service anbieten – das ist leider nicht bei allen der Fall. Manchmal muss ich auch Kompromisse machen, zB beim Rockharz komme ich in Quedlinburg an, das keinen solchen Service anbietet. Hier muss ich mich darauf verlassen, dass andere ankommende Festivalbesucher mir helfen. Auch wenn das eine ganz schöne Aktion bedeutet (ich muß vom ankommenden Gleis die Treppen herunter und wieder herauf getragen werden), habe ich bisher immer ausreichend freundliche Hilfe bekommen.
Des weiteren muss ich zunächst planen, wie das Festivalgelände beschaffen ist. An solche Informationen zu kommen, ist gar nicht so einfach! Oft steht in den allgemeinen Infos zu Festivals nichts über die Geländeart. Beim Mera Luna zB handelt es sich um einen Flugplatz, dh es ist relativ gut befahrbar mit Rollstuhl, da es gepflasterte Wege gibt. Beim Rockharz jedoch hat man es mit einem schwer zugänglichen holprigen Gelände zu tun.
Manchmal frage ich auf Facebook oder in Foren, welchen Eindruck die Leute vom Gelände haben. Oft allerdings ist es eine Fahrt ins Blaue, wenn ich noch nicht selbst vor Ort war.
Die meisten Festivals haben auf ihren Webseiten Infos für behinderte Besucher, die allerdings mangelhaft sind. So steht dort zB., dass man kostenlos eine Begleitperson mitbringen kann, insofern man ein B im Behindertenausweis hat, nicht aber, ob es behindertengerechte Duschen und WCs gibt.

Wie reagieren Veranstalter, Besucher und Bands auf dich?

Mit den Veranstaltern habe ich relativ wenig zu tun, nur in einem Fall habe ich mich aufgrund mangelnder Infos einmal direkt an den Veranstalter gewandt. Meine Erfahrungen wurden dabei gut aufgenommen und direkt umgesetzt – die Infos auf der Webseite wurden ergänzt und im nächsten Jahr bemühte man sich, behindertengerechte Duschen anzubieten. Insofern ein großes Lob an die Veranstalter, dass sie auf solche Verbesserungsvorschläge eingehen.
Da ich oft nicht alleine bin als behinderte Festivalbesucherin, habe ich nicht erlebt, dass andere nichtbehinderte Festivalbesucher besonders überrascht sind. Was die Rücksicht anbetrifft, muss ich die schwarze (Gothik-) Szene sehr loben: wenn ich mit dem Rollstuhl ankomme, wird mir sehr oft bereitwillig Platz gemacht, so dass ich direkt in der ersten Reihe die Bands genießen kann.
Zwar gibt es stehts eine etwas abseits stehende Rampe, von der aus Rollstuhlfahrer und andere Behinderte einen Blick auf die Bühne haben, aber diese Rampe ist natürlich stets in beträchtlicher Entfernung zur Bühne aufgebaut. Für mich ist das nichts, ich möchte am Liebsten in der ersten Reihe stehen und direkt alles mitbekommen.
Das hängt natürlich davon ab, welche Anweisungen die Security erhalten hat: beim Mera Luna zB wurde vom Veranstalter verboten, dass Rollstühle in der ersten Reihe stehen. Das ist das einzige Festival, das ich trotz dieser Regelung besuche. Ansonsten ist für mich wichtig, von der Security nicht nur als Sicherheitsrisiko eingeschätzt zu werden. Hier sticht besonders das Rockharz hervor; trotz Crowdsurfern und Circle Pit stehen wir Rollifahrer in der ersten Reihe – die Security achtet sehr genau darauf, das nichts passiert. Das ist ein tolles Erlebnis, mitten in der Action zu sein, hautnah alles mitzuerleben.
In Sachen Bands habe ich nur eine Reaktion erlebt, die besonders hervorstach: Knorkator haben mich einmal mitsamt Rollstuhl auf die Bühne geholt. Das war fantastisch!

Wie sieht es in Sachen Barrierefreiheit bei Festivals aus?

Nun, man sollte besser nicht erwarten, dass es wirklich benutzbare Duschmöglichkeiten gibt! Auch wenn die Veranstalter sich bemühen, sind die Duschen meist zwar mit dem Rollstuhl befahrbar, aber es fehlt zB an der Sitzmöglichkeit unter der Dusche. Oft kann hier schnell abgeholfen werden, indem die Security einen Stuhl organisiert. Aber bei manchen Festivals fehlen Rolliduschen völlig. Also besser genügend Feuchttücher mitbringen!

Bist du schon anderen Festivalbesuchern mit Handicap begegnet?

Sehr vielen und mit manchen hat sich eine schöne Freundschaft entwickelt. Man hält unterm Jahr Kontakt via Facebook und Telefon und trifft sich ein- oder mehrmals im Jahr auf den Festivals. Da alle Festivals der schwarzen Szene angehören, trifft man oft immer dieselben Leute. Da lernt man sich zwangsläufig kennen.

Hast du durch dein Handicap auch schon etwas erlebt, was du als nichtbehinderte Frau nicht erlebt hättest?

Das ist schwer zu sagen, denn ich weiß oft nicht, ob ich etwas, dass ich als behinderte Frau erlebe, auf meine Behinderung bezieht oder nicht. Meist im Zusammenhang mit dem anderen Geschlecht habe ich das Gefühl, dass es ohne Behinderung etwas leichter wäre. Aber das ist dann eben so. Ich habe diese Behinderung nunmal, und sie ist ein Teil von mir, wenn auch dieser Teil weit weniger Bedeutung für mich hat, als allgemein wahrgenommen wird: wie gesagt, ich identifiziere mich nicht damit, sondern sie ist nur ein Teil vom Ganzen, das mich ausmacht.

Träumst du noch von einem bestimmten Festival?

würde noch gerne aufs Summer Breeze gehen, das ist ein Metalfestival etwas größerer Art. Während Rockharz und Mera Luna auf 15 000 bzw 25 000 Besucher kommen, sind auf dem Summer Breeze locker 30 000 Menschen. Das wäre noch eine schöne Erfahrung. Zwiegespalten bin ich bei Wacken: obwohl ich weiß, dass es dort regelrecht organisierte Hilfe für Rollstuhlfahrer gibt, schreckt mich das drumherum sehr ab. Wacken ist meist verregnet und somit extrem matschig und schlammig. Ich werde nicht gerne dreckig, lol! Außerdem ist das Line-Up der Bands oft nicht so sehr nach meinem Geschmack. Und für mich ist das Wichtigste an den Festivals immer noch die Liebe zur Musik.

(geschrieben von Marion)

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