ARIA-Serie Teil 2: Barrierefreiheit im World Wide Web

Hinweis: Dies ist der zweite Teil der ARIA-Serie. Auch hier sind keine Programmiervorkenntnisse erforderlich, allerdings ist technisches Verständnis hilfreich.

Allgemeines zu Barrierefreiheit

Was ist Barrierefreiheit?

Unter Barrierefreiheit versteht man einen Zustand, in dem alle Menschen, unabhängig von ihren physischen, sensorischen oder kognitiven Einschränkungen (oder dem Fehlen solcher Einschränkungen) Zugang zu sämtlichen Aspekten der Gesellschaft haben. Dies heißt im Klartext, dass ein Gebäude nicht automatisch barrierefrei wird, wenn es Aufzüge und Rampen für Rollstuhlfahrer oder Leitlinien für Blinde gibt. Barrierefreiheit bedeutet auch akustisch auf schwerhörige abgestimmte Räume, Informationstexte in leichter Sprache, einarmig bedienbare Geräte, etc. Meistens meinen wir also eher Barrierearmut als Barrierefreiheit, denn Barrierefreiheit ist so vielschichtig, dass sie selten vollends gegeben ist. Selbst dieser Text ist insofern nicht barrierefrei, als er definitiv nicht in leichter Sprache geschrieben ist.

Welche Voraussetzungen gibt es für Barrierefreiheit im World Wide Web?

Welche Anforderungen eine Webseite erfüllen muss, um als barrierefrei zu gelten, definiert unter anderem die IBM Accessibility Checklist (Englisch). Dort sind sämtliche für die Barrierefreiheit im Web, bei sonstiger Software und Dokumentation potenziell relevanten Aspekte aufgelistet. Auf diese Weise können Entwickler prüfen, ob sie an alle Aspekte gedacht haben. Im Web sind die relevantesten Barrierefreiheitsanforderungen

  • Zugänglichkeit: Alle Elemente müssen sowohl per Maus, als auch per Tastatur zugänglich sein. Wo dies nicht möglich ist, müssen alternativen geboten werden.
  • Wahrnehmbarkeit: Alle Elemente müssen für alle Nutzer der Situation entsprechend sichtbar sein. Informationen müssen in einer Form geliefert werden, die für alle Behinderungsgruppen geeignet ist.
  • Benutzerfreundlichkeit: Der Inhalt muss anpassbar sein, sodass Menschen, die ein anderes Farbschema oder höhere Kontraste brauchen, die Darstellung ihren Bedürfnissen entsprechend anpassen können. Auch darf die Darstellung keine epileptischen Anfälle auslösen (z.B. indem Elemente öfter als drei mal pro Sekunde blinken).

Aus diesen Grundanforderungen lassen sich Richtlinien ableiten, welche in erheblichem Maße die Barrierefreiheit einer Webseite beeinflussen. Ich erläutere diese im nächsten Abschnitt. Dabei werde ich mich jedoch ausschließlich auf den Web-Aspekt konzentrieren.

Richtlinien für die Barrierefreiheit im Web

Wir erinnern uns an die o.g. drei Kategorien. Im Web-Kontext folgen daraus diverse Regeln für die Darstellung. Einige Beispiele habe ich bereits genannt, doch unten folgt eine vollständigere Liste. Falls du Ergänzungsbedarf si!hst, hinterlasse einen entsprechenden Kommentar

Erreichbarkeit

Unter Erreichbarkeit werden allgemein alle mit Navigation verknüpften Aspekte der Barrierefreiheit zusammengefasst. Es gilt hierbei: Jeder wichtige Bereich einer Webseite muss sowohl mit Maus, als auch mit Tastatur erreichbar und bedienbar sein. Daraus folgt:

  • Alle Elemente einer Webseite, mit denen interagiert werden kann, müssen sowohl von der Maus, als auch der Tastatur fokussierbar sein.
  • Die Funktion (sprich, was dieses Element bewirkt) sowie Funktionsweise eines jeden Elements muss eindeutig erkennbar sein – auch für Nutzer von Screen Readern. Falls nötig, müssen also Extrainformationen für Behinderte verfügbar sein.
  • Für klickbare Bilder müssen Textalternativen verfügbar sein. Bilder sollten, falls sie nicht ausschließlich dekorativ sind, beschrieben werden. Dekorative Bilder sollten ausblendbar sein, sodass Blinde und Menschen, für die solche Bilder die Bedienbarkeit der Webseite reduzieren könnten, die Bilder nicht sehen müssen.
  • Beschreibungen müssen nützlich und deskriptiv sein, sodass die Nutzer mit diesen Informationen auch etwas anfangen können.
  • Timer müssen so konzipiert sein, dass Menschen mit Behinderungen – egal welcher Art – genug Zeit haben, die nötigen Informationen zu verstehen und darauf zu reagieren.
  • Für Schnellzugriffbereiche wie Symbolleisten muss es passende Tastenkombinationen geben.

Sichtbarkeit

Sichtbarkeit klingt erstmal sehr offensichtlich. Allerdings zählt hierzu eben nicht nur, dass alle Elemente einer Webseite sichtbar sind – sondern auch, dass die Sichtbarkeit korrekt ist. Also… welche Richtlinien gibt es für diesen Bereich?

  • Alle Texte, die sichtbar sind, müssen auch lesbar sein – die Schrift muss also vergrößerbar sein.
  • Elemente, die für Sehende unsichtbar sind, müssen dies auch für Benutzer von Screen Readern sein – es sei denn, es sind explizit nur für Screen Reader relevante Informationen. Alles andere führt nur zu Verwirrung
  • Elemente, die für Sehende sichtbar sind, müssen dies auch für Screen Readernutzer sein, es sei denn, die Informationen sind für die Benutzbarkeit der Seite explizit irrelevant (Dekorative Animationen, z.B., wobei man solche auch als Text per Live-Region an Screen Reader weiter reichen kann – denn generell gilt: Der Benutzer entscheidet selbst, was relevant oder irrelevant ist).
  • Wenn sich der Seiteninhalt ändert, müssen Screen Reader u.Ä. darüber informiert werden. Für Screen Reader kann dies durch Live-Regionen oder skriptseitiges Fokussieren eines Elements geschehen, bei einer Bildschirmlupe muss diese zu den Veränderungen bewegt werden, etc. (Dabei gilt jedoch die Benutzerfreundlichkeit – siehe unten.)

Benutzerfreundlichkeit

Inwiefern ist Benutzerfreundlichkeit noch Teil der Barrierefreiheit? Nun, es gibt einige Bereiche, welche nicht unbedingt implementiert werden müssen – wenn sie jedoch nicht implementiert werden, senkt dies die Barrierefreiheit der Seite drastisch. Meine richtlinien zur Benutzerfreundlichkeit sind daher:

  • Es muss Möglichkeiten geben, die kontraste zu erhöhen und das Farbschema umzukehren. Falls dies nicht der Fall ist, tun die Farben manchen Menschen mit Behinderungen in den Augen weh. Im schlimmsten Fall ist die Seite nicht lesbar.
  • Inhalte dürfen keine epileptischen Anfälle begünstigen oder verursachen. So dürfen Elemente einer Seite nicht öfter als drei mal pro Sekunde blinken.
  • Live-Regionen sind zwar nützlich, jedoch sollte sich der Inhalt nicht in einem kurzen Zeitintervall periodisch ändern – sonst können Screen Readernutzer ggf. nicht mehr mit der Seite interagieren, da der Screen Reader andauernd Live-Regionenupdates vorliest (dies gilt insbesondere für den Modus “assertive”, mehr dazu in einem späteren Beitrag). Auch Seiten, die sich periodisch neu laden brauchen einen Schalter oder eine ähnliche Option, um dieses Verhalten zu unterbinden, da nämlich sonst der Fokus des Screen Readers immer wieder an den Seitenanfang springt.
  • Der Fokus eines Screen Readers, einer Bildschirmlupe o.Ä. sollte nur dann skriptseitig bewegt werden, wenn es unbedingt sein muss, also bei wichtigen Informationen oder wenn eine Interaktion erforderlich ist.

Rückblick

Nach der Lektüre dieses Artikels solltest du…

  • verstehen, was Barrierefreiheit allgemein ist und weshalb man meist eher Barrierearmut als Barrierefreiheit erreicht,
  • wissen, welche Kernbereiche es in der Web-Barrierefreiheit gibt,
  • Richtlinien zu jedem einzelnen dieser Kernbereiche kennen.

Ausblick

Wir haben die einleitenden Artikel hinter uns. Wir sind so weit: Als nächstes schauen wir, was ARIA nun eigentlich ist.

Ein Kommentar

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.